Schrottreif by Isabel Morf

Schrottreif by Isabel Morf

Autor:Isabel Morf [Morf, Isabel]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Kriminalroman
ISBN: 978-3-8392-3410-5
Herausgeber: Gmeiner-Verlag


*

Am Freitagabend hatte Leon wieder für sie gekocht, Couscous mit dicken Lammfleischstücken, und er hatte ihr mindestens so viel Rotwein eingeschenkt wie ein paar Tage zuvor.

Valerie erzählte ihm von ihrem Gefühl von Machtlosigkeit und Verlust, von ihrer Empfindung, dass etwas zutiefst Böses in ihre Welt eingebrochen war und etwas Unheimliches, weil sie keine Ahnung hatte, warum es geschehen war und wer dahintersteckte.

»Das siehst du zu dramatisch«, wehrte Leon ab. »Das Böse. Was heißt schon böse? Gut, böse, das sind biblische Begriffe. Die Welt ist nicht klar unterteilt in Gut und Böse, sie ist voll von Widersprüchen, von einem Durcheinander an Motiven, Gedanken, Gefühlen. Das, was man als ›böse‹ bezeichnet, ist doch meistens einfach Dummheit.« Valerie hatte nicht die geringste Lust auf theoretische Erörterungen, aber Leon fuhr fort: »Du weißt nicht, was wirklich geschehen ist in jenen Minuten, da Täter und Opfer in deinem Laden waren. Vielleicht ist der Täter ein armer Teufel.«

Valerie fuhr auf: »Hör auf mit diesem Quatsch! Soll ich den Typen etwa trösten? Das interessiert mich nun wirklich nicht. Verstehst du, ich bin involviert in diese Sache! Zudem hatte ich nie den Wunsch, Sozialarbeiterin zu sein. Und was heißt schon Dummheit? Es gibt hochintelligente Menschen, die ihre Klugheit dafür gebrauchen, anderen zu schaden, sich selbst zu bereichern oder sonst was.«

Seppli, der neben dem Tisch gedöst hatte, hob seinen Kopf.

»Na ja, die Wirtschaftskriminellen, die Mafiabosse möglicherweise schon«, entwickelte Leon seine Theorie ungerührt weiter. »Aber verurteilt werden meistens die Kleinen. Schau, vor ein paar Jahren, als ich in einer Parterrewohnung wohnte, stieg nachts ein Einbrecher bei mir ein, während ich schlief. Er nahm mein Portemonnaie und meinen Compi mit, die beide auf dem Küchentisch lagen. Ich habe keine Anzeige erstattet, das hätte die Welt nicht besser gemacht. Vielleicht hätte jemand diesem Typen einfach einen Compi schenken müssen, dann hätte er es nicht nötig gehabt, einen Einbruch zu begehen.«

Einen Moment lang verschlug es Valerie die Sprache. Das war ja wohl das Letzte. »Ach, und was hätte man dem Mörder von Hugo Tschudi schenken sollen, damit er davon absieht, ihn kaltzumachen?« Sie war ziemlich laut geworden. Seppli stand auf, trottete zu Valerie und sah zu ihr hoch. »Was hast du denn für eine Vorstellung von einem Rechtsstaat? Du bist doch völlig naiv!«

»Komm, reg dich ab«, wiegelte Leon ab, dem nicht mehr ganz wohl war. »Im Übrigen ist es naiv zu glauben, dass der Rechtsstaat Gerechtigkeit herbeizaubern kann.«

»Da wird gar nichts gezaubert!«, gab Valerie zurück. »Ermittlungen in einem Mordfall sind harte Knochenarbeit.« Sie schwieg. Sie war zornig, aber auch erschrocken. Was war mit Leon los? Warum verriet er sie? Verlor sie jetzt auch noch ihren Freund?

Sie riss sich zusammen, erkundigte sich nach Benjas Augenentzündung, aber nur, weil sie nicht mit Getöse und im Streit abhauen wollte. Und sie wollte nicht, dass er mitbekam, wie verletzt sie war. Sie verabschiedete sich bald.



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